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Bohemia Band 54 (2014):
Wandlungen des Adels in den böhmischen Ländern
## AUSZUG ## 400 Jahre - Schlacht am Weißen Berg vom 8. November 1620. Wie in den anderen habsburgischen Erblanden setzte der siegreiche Kaiser auch in Böhmen und Mähren eine einheitliche Titulatur adliger Personen nach dem Vorbild des Reiches durch: Fürst bzw. Herzog, Graf, Freiherr und Ritter waren nun die zugelassenen Adelsränge.101 Die standesgemäße Ahnenreihe, die traditionell großes Gewicht gehabt hatte, begann ihre Bedeutung zu verlieren. An ihre Stelle traten nun zum Teil die Verdienste des Einzelnen, besonders seine Treue zur regierenden Dynastie. Die Verneuerte Landesordnung legte als ersten Stand in Böhmen die katholische Geistlichkeit fest; damit war der Prager Erzbischof allen Adligen höheren oder niederen Standes übergeordnet. Den zweiten Platz in der neuen Ordnung der Gesellschaft nahm der Herrenstand ein. Doch anders als zuvor entschieden nun nicht mehr die Standesangehörigen auf dem Landtag selbst darüber, wer in ihre Reihen aufgenommen wurde. Fortan genügte dem Bewerber ein Privileg des Herrschers, das von der Böhmischen Hofkanzlei ausgestellt wurde. Auch die drei Generationen währende Anwartschaft für die Aufnahme in den Kreis der altehrwürdigen Herrengeschlechter des Landes hob der Kaiser auf. Vor dem Erlass der Verneuerten Landesordnung hatten Reichsfürstenund Reichsgrafentitel ihren Trägern keinen Vorrang gegenüber den anderen Herren verschafft, alle Angehörigen des böhmischen Herrenstandes hatten als gleichrangig gegolten. Mit der Verneuerten Landesordnung änderte sich das, nun bildeten die Fürsten und Grafen die Spitze des Herrenstandes. Bei Titelgleichheit entschied das Alter der Träger über die Rangfolge: Ältere Adlige genossen Vorrang vor jüngeren, wobei es einige Ausnahmen von dieser Regel gab. Nach einer Entscheidung des Kaisers nahmen in Böhmen nach den Fürsten vier hohe Würdenträger im Grafenrang besondere Ehrenplätze ein. Sie standen in habsburgischen Diensten und wurden in der Verneuerten Landesordnung namentlich genannt: Maximilian von Trauttmansdorff, Wilhelm Slavata, Adam d. J. von Waldstein und Jaroslav Bořita von Martinitz. Ihre exklusive Stellung ging in der Erbfolge auf die erstgeborenen Söhne über. Wenn die Fürsten und die genannten Grafen in exklusiver Stellung an den Verhandlungen des Landgerichts teilnahmen, saßen sie über den anderen obersten Landesbeamten, die eine Stufe darunter zu ihrer rechten und linken Seite Platz zu nehmen hatten. Im Prinzip ging der bevorzugte Platz, der vor 1620 dem Rosenberger Regenten vorbehalten gewesen war, an sie über. Erst nach den obersten Landesbeamten nahmen die übrigen Edelleute – Grafen, Herren und Ritter, die in Böhmen zu den Landgerichtsschöffen gehörten – ihre Plätze ein. De facto wurde diese Hierarchie jedoch von Adligen durchbrochen, die sich mit Hofämtern schmücken konnten – besonders Geheime Räte – und Anspruch auf Vorrang vor den obersten Landesbeamten erhoben. Die Revision der Landesordnung vom Anfang des 18. Jahrhunderts legte fest, dass für die Bestimmung der Plätze unter den Gerichtsschöffen nicht das Lebensalter der betreffenden Personen zu berücksichtigen war, sondern vielmehr ihr Dienstalter in dieser Funktion. Zu Rangstreitigkeiten kam es am kaiserlichen Hof, wo die Reichsfürsten und Reichsgrafen in der Hierarchie nicht hinter höfische Würdenträger, die nicht die Reichsstandschaft innehatten, zurücktreten wollten. Von den 17 Adelsgeschlechtern, die zwischen 1620 und 1740 in den Reichsfürstenstand erhoben wurden, verfügten neun auch über Grundbesitz in den böhmischen Ländern.104 Ihr rasanter sozialer Aufstieg stieß bei den altehrwürdigen Reichsfürstengeschlechtern auf Misstrauen; diese ignorierten die Aufsteiger, in denen sie Emporkömmlinge sahen.105 Alle im Lande verbliebenen bedeutenderen Herrenfamilien aus der Epoche vor 1620 konnten sich bis Ende des 17. Jahrhunderts mit einem Grafentitel schmücken. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts bildeten die Grafen mehr als zwei Drittel der Angehörigen des Herrenstandes, also etwa 200 Familien. Zu jener Zeit besaßen die Fürsten- und Grafenfamilien ungefähr 90 Prozent des gesamten adligen Vermögens im Lande. Der niedere Adelsstand verfügte zur Mitte des 18. Jahrhunderts nur noch über unbedeutenden Besitz; es handelte sich um knapp vier Prozent des gesamten in Adelshand befindlichen Bodens. Die große Mehrheit der wohlhabenderen Ritter hatte nach 1620 den Aufstieg in den Herrenstand geschafft, der nun wesentlich leichter war als zuvor. Der niedere Adelsstand, dem die Verneuerte Landesordnung nach Klerus und Herren den dritten Rang in der Hierarchie der Ständegesellschaft zugewiesen hatte, verlor seinen einstigen politischen Einfluss und seine Vermögensgrundlage, er ging noch vor Mitte des 18. Jahrhunderts unter. Der Anteil adliger Personen an der Gesamtbevölkerung des Königreiches Böhmen war nach 1620 kontinuierlich rückläufig. Während er Ende des 17. Jahrhunderts noch etwa ein halbes Prozent ausmachte, lag er gut hundert Jahre später bei unter 0,1 Prozent.106 Die komplizierte Hierarchie der Adelstitel festigte sich nach 1746, als in den habsburgischen Erblanden ein einheitlicher Adelsstand entstand. Die tiefen Eingriffe des Herrschers in die Zusammensetzung, Titulatur und das Vermögen des Adels trugen in der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg zum allmählichen Zerfall seiner einstigen Landes- und Standesidentität bei.108 Der Adel stellte nun eine relativ inhomogene soziale Gruppe dar, die Teile ihres Besitzes in den böhmischen und den übrigen habsburgischen Ländern hatte, in verschiedenen Sprachen kommunizierte, internationale Heiratsallianzen schloss, Kavalierstouren nach Italien, Spanien und Frankreich unternahm,109 den kaiserlichen Hof in Wien zunehmend attraktiver fand und für die eigene Karriere zu nutzen wusste und ihren Lebensstil an der materiellen und geistigen Kultur ausrichtete, die gerade en vogue war. ... Das wichtigste konstitutive Element der Adelsidentität blieb auch im bürgerlichen Zeitalter der Nachweis einer standesgemäßen, möglichst weit zurückreichenden Ahnenreihe. Wenngleich im 19. Jahrhundert das fünfstufige System der Adelstitulatur bestehen blieb, begann für die Selbstwahrnehmung des ursprünglichen ständischen Adels die Einteilung in den alten (historischen) und den neuen Adel die wichtigere Rolle zu spielen. Der „wahre Adel“ grenzte sich gegenüber einer hierarchisch niedriger stehenden Schicht der Adelsgesellschaft ab – der Nobilität, deren Mitglieder verschiedenen sozialen Gruppen entstammten, wobei nobilitierte Familien aus dem Bürgertum (die zuweilen als „zweite Gesellschaft“ bezeichnet wurden) die Mehrheit bildeten. Die Grundlagen für die Veränderungen in der Struktur der Adelsgesellschaft hatte zwar schon Maria Theresia durch die Heeresreformen in den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts geschaffen, zu einer wirklichen Liberalisierung der Nobilitierungen bis hin zur Verleihung höherer Adelsränge an ursprünglich nichtadlige Personen kam es aber erst nach der Thronbesteigung Franz Josephs I. Für den Erwerb eines Adelstitels war es nun notwendig, Verdienste für das Vaterland und die Dynastie nachzuweisen und eine festgelegte Gebühr zu entrichten. Um die Erhebung in den Ritter- oder Freiherrenstand156 konnten darüber hinaus auch Träger eines der hohen Verdienstorden der Monarchie ansuchen. Für die Zeit von 1804 bis 1918 sind in der Habsburgermonarchie 5.003 Erhebungen in den einfachen Adelsstand, 2.797 Erhebungen in den Ritterstand und 870 Erhebungen in den Freiherrenstand belegt. Von den nobilitierten Personen kamen die meisten aus den Kreisen der Offiziere und Staatsbeamten. Doch auch bedeutende Industrielle, Künstler, Wissenschaftler, Universitätsprofessoren und Politiker wurden in den Adelsstand erhoben. Wenngleich die reichsten Neuadelsfamilien aus den Reihen der Unternehmer Schlösser und große Landgüter besaßen und dem „wahren Adel“ nacheiferten, unterschied sich ihr Lebensstil nur wenig von dem der bürgerlichen Eliten. Zudem handelte es sich um einen „werktätigen“ Adel, der sein Einkommen durch die Ausübung eines Berufes sicherstellte. Nach 1848 begann nicht nur die Zahl der neu nobilitierten Personen zuzunehmen, die den Ritter- oder Freiherrenstand erreichten, sondern auch das bisher herrschende Gleichgewicht zwischen der Stellung des Einzelnen in der Adelshierarchie und seinem Vermögen geriet ins Schwanken. Zahlreiche der neuen Adligen waren wohlhabender als viele Freiherren- oder Grafengeschlechter. Dennoch endete ihr Titelaufstieg mit dem Erwerb des einfachen Adels oder des Ritterstandes. Kein Vertreter des Unternehmeradels in der Österreichischen und später Österreichisch-Ungarischen Monarchie erreichte einen höheren Adelsrang als den Freiherrenstand. Der alte Adel begriff die Inflation der Adelstitel als Degradierung des Adelsstandes und begann sich selbst als „historischer Adel“ zu bezeichnen. Und so blieben die erste und die zweite Gesellschaft durch die unüberwindbare Grenze der vollendeten adligen Herkunft getrennt. Über diese Grenze hinweg gab es keine Eheschließungen; gesellschaftlichen Kontakt vermied man möglichst. Der historische Adel stellte eine abgeschlossene Kaste dar, in die man nur hineingeboren werden konnte. Vom Rest der Adelsgesellschaft schied ihn eine Reihe charakteristischer Merkmale. Nur der historische Adel konnte hohe Stellungen am Habsburgerhof einnehmen, über einen erblichen Sitz im Herrenhaus verfügen und einen Familienfideikommiss errichten. Es handelte sich um eine gesellschaftliche Gruppe, die durch ein dichtes Netz verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Verbindungen zusammengehalten wurde. Zu den Distinktionsmerkmalen gehörten auch die internationale Herkunft, an die sich eine übernationale, kosmopolitische Gesinnung knüpfte, sowie bestimmte gemeinsame Gewohnheiten symbolischer Art, ein besonderes Verhältnis zur Ehre und die Verehrung der eigenen Vorfahren. Die Betonung der historischen und der Familientraditionen zeigte sich im Lebensstil des alten Adels, der in der Erziehung des Nachwuchses wie in seiner Freizeitgestaltung bewusst an frühere Epochen anknüpfte. Adelige widmeten sich Beschäftigungen wie dem Jagen, Reisen und Musizieren; sie sammelten wertvolle Objekte, traten als Mäzenaten auf, waren als Künstler tätig, entdeckten aber auch einige neue Sportarten für sich.In den mit dem Lebenszyklus verbundenen Ritualen und Festen sowie in aufwendigen historisierenden Umbauten der Familiensitze spiegelte sich das Exklusivitätsbewusstsein des alten Adels und auch sein Festhalten am historischen Vermächtnis. --
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Adel entsteht und besteht durch Opfer, durch Mut und durch ein klares Wissen um das, was man selbst und anderen schuldig ist, durch die selbstverständliche Forderung der Achtung, die einem zukommt, wie durch ein ebenso selbstverständliches Wahren der Achtung nach oben wie nach unten. Es geht auf der ganzen Linie um das Wiederfinden verschütteter Qualitätserlebnisse, um eine Ordnung auf Grund von Qualität.
Aus: "Widerstand und Erhebung"- Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, Kaiser Verlag, München 1952. Dr. theol. Dietrich Bonhoeffer, Privatdozent für evangelische Theologie in Berlin, geb. Breslau 4.2.1906, ermordet im Lager Flossenbürg 9.4.1945, war der Sohn des Geheimen Medizinal-Rates und Professors der Psychiatrie in Berlin Dr. Karl Bonhoeffer und der Paula v. Hase.
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